Fach-Verlage mit Kinderbuch-Reihen

Nachfolgend sollen einige dieser Verlage und ihre Neuerscheinungen in 2020 vorgestellt werden. Wenn Sie den Links folgen, finden Sie dort weitere lieferbare Bücher. Und wenn Sie fündig werden, bestellen Sie bitte im örtlichen Buchhandel und nicht beim Online-Riesen.

Zusammenstellung und Rezensionen von Ute Hüper


Mabuse-Verlag, Verlag für alle Gesundheitsthemen, bietet seit 15 Jahren seine Kinderfachbücher an. Die Idee dahinter: Ein illustriertes Buch, mit einem Fachteil für Kinder und einem für Eltern und andere erwachsene Bezugspersonen. Die Idee kam an und das erste Buch ist bis heute ein Bestseller: Sonnige Traurigtage, ein Buch über Depressionen, liegt 2020 bereits in der 8. Auflage vor. Zwei neue Bücher beschäftigen sich mit Ängsten, die häufigste psychische Störung bei Kindern und Jugendlichen.

Mein Tabulu heißt das Bilderbuch für Kinder ab 6 Jahre. Hört sich liebevoll an, wie ein Kuscheltier. Doch das Tabulu ist ein vogelartiges, dreistes Wesen, das der kleinen Tabea das Leben schwer macht. Die ist nach dem Umzug in eine andere Stadt und der Trennung von ihren Freundinnen verunsichert und ängstlich geworden. Das Tabulu ist Tabeas Angst, die erst verschwindet, als das Mädchen lernt, mit ihr umzugehen. Und erleichtert feststellt, dass auch andere ihre Angst mit sich herumtragen. Eine toll illustrierte und originell erzählte Geschichte von Paula Kuitunen.

Die zweite Neuerscheinung Wie Jule ihre Angst verliert fokussiert auf die Behandlung von Ängsten durch Psychotherapie. Am Beispiel der zehnjährigen Jule, die plötzlich so gravierende Ängste entwickelt, dass sie nicht mehr zur Schule gehen kann, beschreibt der Autor, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut Hans Hopf, den Verlauf einer psychotherapeutischen Behandlung. In Einzel- und gemeinsamen Sitzungen mit den Eltern wird der Schulverweigerung auf den Grund gegangen. Das Buch bietet einen interessanten Einblick in die Bewältigung von Konflikten mittels Therapie. Es ermutigt Eltern, solch ein Angebot in Anspruch zu nehmen und hilft betroffenen Kindern, die Angst davor zu nehmen.


Der BALANCE buch + medien verlag, ein Imprint des Psychiatrie Verlages, zog etwas später nach mit Mamas Monster, ein Bilderbuch über Depressionen. Das war so erfolgreich, dass der Verlag sich entschloss, auch andere Diagnosen kindgerecht aufzubereiten. Unter dem Label Kids in BALANCE ist inzwischen eine veritable Reihe herangewachsen. Hauptfiguren und Zielgruppe der schön gestalteten, kleinformatigen Bilderbücher sind junge Kinder. Viele Geschichten werden aus ihrer Perspektive heraus erzählt.

So wie bei Mamas Püschose: Da versteht die kleine Kim nicht, warum die Mutter an der Wand horcht, das Telefon auseinandernimmt und die Knöpfe an ihrer Strickjacke abschneidet. Der Text stammt von Karen-Susan Fessel, die großartigen Illustrationen von Heribert Schulmeyer. Beide gehören zum »Stamm-Personal« des Verlags.

Eine weitere Neuerscheinung greift Probleme von unruhigen Kindern auf und bietet gezielte Entspannungsübungen an. Es heißt Maltes Lieblingstrick. Für die Wirksamkeit garantiert die (ebenfalls mehrfache) Autorin Anja Freudiger, Mutter von drei lebhaften Jungs und Schulpsychologin mit Erfahrung bei der Frühförderung.

Das dritte Buch ist eine Biografie: Es erzählt die Lebensgeschichte von Temple Grandin: Das Mädchen, das in Bildern dachte. Temple Grandin ist in den USA eine Berühmtheit. Sie, die als Kind nicht sprach und sich in der Gegenwart von Kühen wohler fühlte als mit Menschen, wurde eine Ausnahmewissenschaftlerin, Erfinderin, Buchautorin und Pionierin der Autismus-Selbsthilfe. Sie ist ein Vorbild für Menschen, die anders sind, und ein Beweis dafür, dass man vieles erreichen kann, wenn man Unterstützung bekommt und das Umfeld auf die Bedürfnisse des Menschen angepasst wird und nicht umgekehrt. Das Buch ist eine Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch.

Oliver Sechting, Autor bei BALANCE (Der Zahlendieb), hat seine Erfahrungen mit seiner Zwangsstörung nun auch in einem Kinderbuch verarbeitet. Es heißt Frederic, der Zahlenprinz. Frederic ist tatsächlich ein Prinz, er lebt mit seiner Familie in einem Schloss. Der Tod seiner geliebten Oma führt dazu, dass Frederic große Ängste entwickelt, seine Eltern ebenfalls zu verlieren. Irgendwann merkt er, dass es ihn beruhigt, wenn er zählt: Treppenstufen, Pfeile im Köcher, die Ritter beim Abendessen … Doch das viele Zählen macht ihn auch müde. So zieht er sich immer mehr zurück. Bis der Vater eines Tages Hilfe holt bei der weisen Frau Florina, die Frederic Mut zuspricht und ihm dabei hilft, seine Ängste zu überwinden und wieder ins Leben zurückzufinden. Das Buch ist bei riva erschienen, etwas ungewöhnlich, weil der Verlag keine vergleichbaren Bücher führt.


Beim 2010 gegründeten MONTEROSA Verlag hat sich erst mit der Zeit der Schwerpunkt herauskristallisiert, Bücher über und für Kinder in schwierigen Lebenssituationen zu veröffentlichen, schreibt die Verlegerin Claudia Gliemann. Sie ist in Personalunion auch Autorin der meisten Bücher und Kinderlieder-Macherin.

Von letzterem profitierte bereits das Projekt Papas Seele hat Schnupfen, dass 2014 erschien, und Kindern das Thema Depression näherbringt. Denn das Buch wurde nach und nach ergänzt durch Unterrichtsmaterialien, einem Begleitheft zur Selbsthilfe sowie einer CD, auf der man u. a. den Text und neun Lieder hören kann. Das mehrfach ausgezeichnete Paket entstand in Zusammenarbeit mit Lehrer:innen, Angehörigen von Betroffenen und einer Psychologin. Buch und Arbeitsmaterialien wurden durchgehend und stimmig von der Illustratorin Nadia Faichney gestaltet.

Auch bei dem 2020 erschienenen Jubiläumsbuch Rotkäppchen, wie geht es dir? sind die wunderschönen Illustrationen von Regina Lukk-Toompere bereits preisgekrönt. Die Künstlerin hat die Geschichte kongenial und detailreich umgesetzt. Die Farbgestaltung spiegelt die wechselnden Emotionen wider und den langsamen, schmerzvollen Heilungsprozess. Es geht – das wird schnell klar bei dieser neuerzählten Rotkäppchen-Geschichte – um Traumabewältigung, auch wenn das eigentliche Trauma nie direkt angesprochen wird. Beschützt und begleitet wird Rotkäppchen von einem großen, einfühlsamen Bären. Er stabilisiert das Mädchen durch geduldiges Zuhören, bis Rotkäppchen sich nach und nach erinnert und sich ihrem Erleben stellen kann. Originell ist, dass sich am Schluss weitere Märchenfiguren zu Rotkäppchen gesellen und von ihrem Leid erzählen. Ein anregendes Buch, bestens geeignet für die traumapädagogische Arbeit.

Übrigens: Claudia Gliemann hat mit Melanie Czarnik, Vertriebsleiterin vom balance buch + medien verlag und anderen Fachfrauen aus der Branche Hope-Lit gegründet. Diese Plattform bietet Kindern und Erwachsenen Geschichten, Kreatives und Infos zum Lernen, Lachen, Hoffen. Die Macherinnen freuen sich über MitMacher:innen.


Carl Auer, der Verlag für Systemisches, startete 2013 mit seinen Kinderbüchern, Carl Auer-Kids, die „heilsame Geschichten mit unaufdringlichen Botschaften und nachhaltiger Wirkung für die Seele kleiner und großer Kinder“ vermitteln wollen. Das Programmspektrum ist breiter aufgestellt: »Ganz verschiedene Charaktere kommen hier zu Wort: selbstbewusste Mädchen, pfiffige Vögel, chaotische Monster, tanzende Drachen oder die vergessliche Oma«, so die Selbstbeschreibung.

Die beiden neuen Bücher präsentieren Gegenpole: Die wunderbare Welt der Snoozette ist einfach – entzückend! Die großformatigen fantastischen Zeichnungen von Caterina Metti will man immer wieder anschauen und sich an den himmlisch-verrückten Abenteuern von Snoozette erfreuen. Der witzige Text von Valentine Paradis ist ein augenzwinkernder Spaß. Als Zusatzmaterial bietet der Verlag Zeichnungen aus dem Buch zum Ausmalen an.

Das zweite Buch Meine Schwester Nora thematisiert den Verlust eines nahen Menschen: »Nora wird nicht zurückkommen«, sagen die Eltern eines Tages zu ihrer jüngeren Tochter Anna. Warum Nora verschwunden ist und ob sie noch lebt oder gestorben ist, das bleibt offen. Es geht um Schmerz und Trauer und tröstliches Erinnern an einen geliebten Menschen.


Fundgrube Publikumsverlage

Auch bei den Kinderbüchern von Publikumsverlagen wie Hanser oder Fischer wird man fündig. Kirsten Boje, die bekannte Kinderbuchautorin, hat 2005 ein Buch über eine depressive Mutter geschrieben: Mit Kindern redet ja keiner. Es erschien in diesem Jahr als Neuausgabe bei Fischer sauerländer. Darin schildert die Autorin aus der Perspektive der kleinen Charlotte, wie sie die Erkrankung der Mutter erlebt: ihre Müdigkeit und Erschöpfung, ihre Überforderung, die immer öfter in Wutausbrüchen gegenüber Tochter und Mann endet, der versuchte Suizid … Das ist beeindruckend und realistisch beschrieben. Was eigentlich los ist mit Mama, erfährt Charlotte nicht, denn »mit Kindern redet ja keiner«. Erst die Mutter ihrer besten Freundin, die selbst Erfahrung mit einer Depression hatte, erklärt ihr die Krankheit und nimmt ihr die Schuldgefühle. Kirsten Boje hat ein packendes Buch zu einem schwierigen Thema geschrieben, gut verständlich für ältere Kinder.

Federleicht kommt dagegen das bei Hanser erschienene Buch Gebrauchsanweisung gegen Traurigkeit daher. Ein bezaubernd originelles Büchlein mit klugen Ratschlägen und feinen Illustrationen von Eva Eland. Für kleine und große Menschen gleichermaßen geeignet, um die manchmal und unerwartet auftretende Traurigkeit zu vertreiben.

Einen richtigen Knaller hat Hanser mit dem Buch Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte gelandet. Zu Recht wurde es mit dem diesjährigen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Es ist eine unglaubliche Geschichte, die sich Dita Zipfel (was für ein Name!) da ausgedacht hat. Überbordend fantasievoll, sehr, sehr witzig und dazu grandios illustriert von der Isländerin Rán Flygenring. Hauptperson ist die 13jährige Lucie, die unbedingt Geld verdienen will, um von zuhause abzuhauen, weil der neue Freund ihrer Mutter so nervt (sie hat einen schlechten Männergeschmack, findet Lucie). Zufällig stößt sie auf einen Aushang, auf dem ein gut bezahlter Gassi-geh-Job angeboten wird, und auf Herrn Klinge. Der ist augenscheinlich ziemlich verrückt, der Hund dagegen ziemlich tot. Wie sich herausstellt sucht Herr Klinge einen Ghostwriter für sein schräges Kochbuch. Mit streng geheimen Zutaten wie Drachenherzen (die große Ähnlichkeit mit Tomaten haben) oder Werwolfspucke (die verdächtig nach Honig aussieht) … So fängt die Geschichte an und nimmt ihren urkomischen, herrlich verrückten Lauf. Noch nie wurde die Welt durch solch großartigen Wahnsinn erklärt. Unbedingte Kaufempfehlung!



Zu guter Letzt noch ein Tipp, der die Suche nach passenden Büchern erleichtert: Auf der Website der Lehmanns-Fachbuchhandlung gibt es eine aktuelle Literaturliste von Kinderbüchern, nach Diagnosen geordnet: www.lehmanns.de/listing/3690-therapeutische-literatur-fuer-kinder